Am heutigen Valentinstag wurde unter dem Motto „Strike – Dance – Rise“ rund um den Globus
gegen Gewalt an Frauen demonstriert. Das Ziel war es eine Milliarde Menschen
weltweit auf die Straße zu bringen. Wow, das war das erste was ich dachte, als ich vor einigen Wochen von der Aktion hörte. Eine weltweite Demonstration gegen Gewalt an Frauen? Das ist ja genial!
Steht auf – Streikt –
Tanzt gegen Gewalt
Der 14. Februar ist nun schon seit 1997 der so genannte „V-Day“. Das „V“ in V-Day steht für Victory (Sieg), Valentine (Valentinstag) und Vagina und ist eine weltweite Bewegung von AktivistInnen mit dem Ziel, Gewalt gegen Frauen zu beenden. Zum 15.jährigen Jubiläum rief Eve Ensler, die Initiatorin und berühmte Autorin der Vagina-Monologe, zu einem weltweiten Aktionstag auf.
Eine
Milliarde (eng. Billion) Frauen – das ist die Zahl derer, die laut Amnesty
International, in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt erleben. Um
auf diese enorm hohe Zahl – denn statistisch handelt es sich somit um jede
dritte Frau – aufmerksam zu machen und Bewusstsein zu schaffen, gingen die
Menschen auf die Straße. In Deutschland gab es knapp 200 Veranstaltungen zum
Aktionstag. Das sind nicht nur Tanzdemos. In Kiel gab es einen „silent dance flashmob“, es wurde auch „konventionell“
demonstriert, verschiedene Kunstaktionen wurden gezeigt und es wurden
Aufführung der Vagina Monologe organisiert.
Kritik nicht nur am Konzept des Tanzens
In mein anfänlgiches "Wow", mischte sich jedoch immer mehr Skepsis. Die Kritik an der Demonstrationsform "Tanzen" ist nicht von der Hand zu weisen. Es wurde ein Tanz mit vorgeschriebener Choreografie und einem eigenen Lied festgelegt. Um sich auf die Tanzdemo vorzubereiten und die Schritte und Bewegungen zu lernen, trafen sich vielerorts die Menschen bereits Wochen zuvor und übten den Tanz. Auch in Heidelberg gab es einige Tanztreffen im Vorfeld und eine Orga-Truppe rund um die Arbeitsgemeinschaft der Heidelberger Frauenverbände. Diese wurden von der Europaabgeordneten Franziska Brantner unterstützt.
Hier die Choreo:
Der
Grund dafür auch andere Organisationsformen zu wählen lag nicht nur darin, dass
viele nicht tanzen wollen, sondern auch, dass es nicht allen gefällt sich in der
Öffentlichkeit tanzend zu präsentieren, auf Shehadistan wurde genau das thematisiert. Denn so ist für Einige Tanzen ja auch aufgrund
körperlicher Voraussetzungen schlicht nicht möglich. Auch gibt es die
Meinung, dass Tanzen bei solch einem ernsten Thema eher unpassend sei.
Der nächste große Kritikpunkt bezieht sich auf die rassistischen Bilder, die in dem Mobilisierungsvideo reproduziert werden. Die Betroffenen von sexualisierter Gewalt sind hier Women of Color und die Täter ausschließlich Men of Color. Weiße Frauen werden als Mitarbeiterinnen in schicken Büros präsentiert.
Auch werden mit dem Motto der V-Days - Vagina, Victory, Valentinstag - gegenüber nicht "genormten" Frauen ein weiterer Ausschluss erzeugt.
Insgesamt wird leider auch nicht der Zusammenhang von Rassismus - (Hetero)Sexismus - Homophobie - Trans*phobie - Inter*phobie thematisiert.
Hm, sollte ich aus diesen ganzen Gründen nicht zur Demo gehen? Obwohl zuerst extrem unschlüssig, entschied ich mich zur Teilnahme. Ich finde "Flagge zeigen", Lärm machen und Themen zu setzen einfach zu wichtig, als dass ich das hätte ignorieren könne.
Deshalb gab es auf unseren Plakaten "Ergänzungen":
Treffpunkt Uniplatz
Doch die meisten Teilnehmer*innen machten sich da wohl nicht so viele Gedanken. „Ich
bin spontan hier“, erzählt eine junge Studentin. Sie sei gerade aus der Uni
gekommen, habe einen Flyer gelesen und fand die Aktion super und ist auch von
der Idee einer Tanzdemo begeistert. Ein junges Paar mit Kind hat den Demo-Besuch schon länger geplant: „Wir wussten schon seit mindestens zwei,
drei Wochen von dem Termin“. Interessant fanden die beiden vor allem die Idee einer
tanzenden Demo, „das ist mal was anderes“. Über soziale Netzwerke wie Facebook
und private E-Mail-Verteiler sind sie auf den Termin aufmerksam geworden. Doch
nicht nur online wurde der Termin verbreitet. Kathrin, eine Auszubildende,
erfuhr Anfang der Woche aus der Zeitung von der Aktion und ist deshalb hier.
Außerdem tanzt sie sehr gerne und findet die Idee sich dadurch auszudrücken
einfach toll: „Beim Tanzen kann ich auch die emotionale Seite zum Ausdruck
bringen, es ist befreiend und gibt mir die Möglichkeit eine Geschichte zu
erzählen“.
Die
Choreographie des Tanzes „Brake the Chains“ können viele nicht, nicht alle
hatten Zeit zu den Übungsstunden im Vorfeld zu kommen. Einige haben jedoch auch
andere Bedenken. „Das Tanzen ist ja in Ordnung, aber irgendwie ist mir die
Musik viel zu fröhlich, das ist doch kein Partythema“, meint eine junge Frau.
Internationaler Protest
Auf
der ganzen Welt standen die Menschen auf und dieses grenzüberschreitende
Einstehen für eine Sache bringt die Menschen auch ganz neu zusammen. Das war auch
in Heidelberg zu erleben. Zu Beginn der Demo sprach ich mit Ankita, einer
Austauschstudentin aus Indien, die berichtete, dass auch ihre Freundinnen und
Freunde in Delhi auf die Straße gingen. Dort waren allein vor dem Parlament
über 2.000 Personen, die sich gegen Gewalt gegen Frauen positionierten. „Aber
dort ist es nicht so friedlich wie hier. Demonstrieren in Indien ist
gefährlich, oft werden die Teilnehmenden verprügelt, damit sich die Demo
schnell wieder auflöst“, erzählt Ankita. Auch Ileana aus Argentinien ist zum
ersten Mal auf einer Demonstration in Deutschland und zeigt sich beeindruckt:
„Wow, die Frauen hier sind so stark und trauen sich richtig was. Toll, dieses
Gefühl mit so vielen anderen Frauen zusammen für etwas einzustehen. Bei uns
daheim in Argentinien wird nur in großen Städten wie Buenos Aires demonstriert.“
Auf meine Nachfrage, wieso das so sei, antwortete sie: „Na wir haben Angst vor
den Männern, die Situation zuhause ist wirklich brisant, hier fühle ich mich
sicherer und traue mich auf die Straße zu gehen.“
In Deutschland alles
besser?
Ankitas und
Ileanas Eindrücke stimmen mich nachdenklich. Sicherlich ist demonstrieren in
Deutschland gefahrlos umsetzbar, aber wie kamen sie auf die Idee das es in Deutschland „sicherer“ sei? Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums haben
40 Prozent der befragten Frauen seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche oder
sexuelle Gewalt oder beides, erfahren. 16 Millionen Frauen sind also auch „hier
bei uns“, in Deutschland“ direkt betroffen.
Meiner
Erkenntnis nach, sind sich viele Menschen dieser Zahlen
nicht bewusst. So war zum Beispiel in Verbindung mit dem Kachelmann-Prozess, die Verwunderung über die hohe
Anzahl von Betroffenen sexueller Gewalt groß. Dies ließ sich auch bei den
Vergewaltigungsfällen in Indien beobachten. So etwas Schlimmes passiert „hier“,
„bei uns“ ja zum Glück nicht.
Gewalt gegen Frauen
passiert tagtäglich – überall
Ein weiterer Grund, wieso so wenig über Gewalterfahrungen gesprochen wird ist, dass Gewalt eine traumatisierende Wirkung auf Betroffene haben kann. Auch im Nachhinein ist es Vielen nicht möglich sich „zu wehren“ – in Form einer Strafanzeige oder auch „nur“ darüber zu sprechen. Vor allem, dass in den meisten Fällen ein Bekanntschafts-, Beziehungs- oder familiäres Verhältnis zu dem Täter besteht, erschwert die Lage erheblich. Und zu guter Letzt werden nicht selten die Betroffenen selbst für die Taten verantwortlich gemacht.
Auch in Deutschland gibt es also mehr als genug Anlass aufzustehen und sich zu Wort zu melden, Bewusstsein für die Problematik zu schaffen und eine Diskussion zu erzeugen. Das es hier bei der OBR-Aktion von Ensler genügend zu kritisieren gibt, steht außer Frage. Wirklich extrem schade fande ich es, dass es keine Äußerungen der Orga zu den ganzen Bedenken gab.
Trotz aller Kritik, ich habe fast nur mit "nicht feministischen" (Eigenbezeichnung ^^) Menschen gesprochen, die für ein feministisches (!) Anliegen zusammenkamen und sich Raum genommen haben für Ihre Botschaften. In diesem Sinne: Kritik, JA, unbedingt - aber alles deshalb zu verteufeln ist mir dann auch wieder viel zu einseitig.
Die
Bildrechte liegen bei Onebillionrising.org (Logo OBR, Creative Commons) und der Autorin.
Ich denke, jede Stadt und jede Gruppe hat das Problem unterschiedlich stark wahrgenommen und auch anders gelöst. Die Veranstaltungen sind zwangsläufig gefärbt von der Haltung der Veranstalterinnen, und diese waren bei OBR weit gefächert. Außerdem wurden die Veranstaltungen vielerorts sehr kurzfristig organisiert, und da hat man auf den schon vorhandenen Fundus zurückgegriffen.
AntwortenLöschenDie Hamburger Lösung sah z.B. so aus:
www.obrhamburg.wordpress.com